GONGRED – JUNGE SZENE SAAR


Ausstellungsansichten im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt (mkki), 2011

Text aus dem Katalog:

Normalerweise bilden sich Künstlergemeinschaften an Hochschulen unter dem Zeichen einer gemeinsamen ästhetischen Überzeugung, die gleichsam aus einem langjährigen, nachhaltigen Prozesses der Ausbildung, der Kommunikation, der Begegnung erwachsen ist. Die „junge Szene Saar“ ist dagegen eine eher spontan entstandene Gruppierung, deren Affinität zur „konkreten Kunst“ durchaus inhomogen und vielleicht auch ambivalent, die ihrem Anspruch gemäß „konkret“, aber auch durchaus ironisch und gar ein wenig ‚situationistisch“ ist. Mit der mehr als merkwürdigen Verballhornung des Wörtchens „konkret“ in die fast fränkisch anmutende Transliteration zu einem ebenso weich wie plump, ja dumpf klingenden „gongred“ wird diese ästhetische und künstlertheoretische Polyvalenz ironisch eingefangen. Die Arbeiten der einzelnen Künstlerinnen und Künstler eint jene paradoxe homogene Inkompatibilität, wie sie solchen Werken eigen ist, die einzelne Bild- bzw. Darstellungselemente ganz aus sich selbst konstruieren wollen und dabei zugleich einheitsstiftende intellektuelle Mittel mobilisieren.

Obwohl der Verfasser nicht die Originalkunstwerke einsehen konnte, re-produzieren seine nachfolgenden Ausführungen bewusst nicht die desperadohafte Attitüde jenes Kunstvermittlers, der mit einer Melange aus Unkenntnis und Hybris, jedwedem künstlerischem Bemühen mit dem Fallbeil der Ignoranz begegnet. Etwa nach dem Motto eines inferioren Theaterkritikers: Ich hab’s zwar nicht gesehen, aber es war trotzdem Mist. Mit anderen Worten: Dem Verfasser geht es nicht darum, ein pyknisches Ego zum Flattern zu bringen, sondern jungen Künstlerinnen und Künstler, deren  Qualitäten ihm bekannt sind und die er schätzt, nach Kräften zu unterstützen.

Anja Voigt überzeugt mit ihren plastischen Arbeiten und Objekten, die sich mit Verräumlichung und Materialität, Stofflichkeit und Effektivität, Wahrnehmung und sozialer Realität auseinandersetzen. Sie denkt gleich-sam in Flächen und versteht den Raum als soziales Phänomen, als Entfal-tungssphäre aber auch als Bewegungsraum. Dementsprechend gilt ihr Interesse dem Räumlichen wie dem Gegenständlichen, der Gestalt wie der Funktion. Ihre Kunst sucht direkten Kontakt zur Betrachterin und zum Betrachter.  Sie schließt keine formalen Lösungen aus, wenngleich sie diese eben auch innerhalb ihrer kulturellen, sozialen oder finanziellen Grenzen reflektiert.

Dagegen finden wir in den zarten Bleistiftzeichnungen von Frederic Eh-lers eine Hommage an eine schier irreduzible Geometrie. Die Suche nach Reinheit führt gleichsam zu einer Überwindung natürlicher Formen; seine Kunst besteht idealtypisch auf mathematisch-geometrischen Grundlagen. Bei ihm wird das Credo der Konkreten Kunst besonders deutlich: Mit den Worten Theo van Doesburgs „Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.“

Arne Menzel hat dagegen besondere Erinnerungsarbeiten ins Zentrum seiner ästhetischen Projektionen gerückt. Da sind seine „ersten weißen Reliefs“, mit denen er die komplexe Entwicklungsgeschichte künstlerischer Hervorbringungen erläutert und die Dialektik aus autonomer ästhetischer Kreation und heteronomer, erinnerungsgeleiteter Schöpfung deutlich werden lässt. Es sind elementare Fragen die ihn beschäftigen: Was ist Erinnerung und was Zeit, was ist ein Bild und was ein Objekt?  Zum anderen nimmt er Überreste des künstlerischen Schaffens des saarländischen Künstlers Leo Erb auf und verarbeitet die Fundstücke als Assemblagen, als Versuche, die Eigenheit der Fragmente im Rahmen seiner Transformationen durchscheinen zu lassen: Deshalb der prägnante Titel „Erbstücke“.  Künstlerisches Eingedenken und produktive Schöpfung gehen eine gelungene Verbindung ein.

Martina Wegener präsentiert eine Videoinstallation: Vor dem Hintergrund einer verlassenen Industrieanlage beginnt sie auf einem weitläufigen Platz ein Rennen gegen das sie verfolgende Objektiv der Kamera, gegen die Präsenz der Bilder und einen scheinbar unbegrenzten Raum, gegen die mimetische Kraft, aber auch gegen den Betrachter und vielleicht auch gegen sich selbst. Am Ende verschwindet ihr Konterfei in einem virtuellen Raum, in dem alles Farben und Formen in ein unspezifisches diffuses Sein einrauchen und die im Film festgehaltene Realität verschwindet. Dem gesamten Arrangement ist eine merkwürdige Distanz, ja Absenz eigen: A woman lost in space? Der Mensch als Subjekt wandelt sich zum Objekt in einer Zwischenwelt von Materie und Farbe.

Eine Performance präsentiert uns auch Mirjam Beierdörfer mit ihrem „Wurf 10 aus 50“ (mit der Wurst nach dem Speck werfen).  Auch hier begegnet uns zunächst wieder die für die konkrete Kunst spezifische Dialektik von Form und Farbe, Intention und Intuition. Max Bill fasste es in folgende Worte:

„Das Ziel der konkreten Kunst ist es, Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der Mensch sich Gegenstände schafft für den materiellen Gebrauch.“ Doch die Künstlerin bewegt sich über diesen Anspruch hinaus, vielmehr schwingt ein feiner ironischer Grundzug mit, der das gesamte Arrangement in ein Geflecht aus strenger Konkretion und heiter- hintersinniger Eulenspiegelei eintauchen lässt.


Peter Strickmann inszeniert ein besonders interessantes, synästhetisches Projekt: „Texte für Farben – Sprechtext für drei Stimmen“. Die im Ausstellungsraum auf Notenständern ausliegende Partitur macht dem Publikum das Angebot, den Raum vorübergehend mit einem leisen, etwas unreinen Grau zu füllen. Ein Ansatz, der dem berühmten Essay Wassily Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“ verpflichtet scheint. Ziel der Kunst ist danach die Farbharmonie und das Berühren der menschlichen Seele. Dazu ordnete Kandinsky „Farbklänge“ zu „Farbsymphonien“ an, die - ähnlich wie die Töne und Klänge in der Musik - Harmonie- oder Dissonanzgefühle auslösen.

Daniela Nadolleck rundet die Ausstellung mit ihren Videoarbeiten „Konkret machen I-III“ ab. Auch hier elementare Verbindungen zwischen Kunst und Leben, zwischen Alltäglichem und Skurrilem, zwischen satirischer Paraphrase und polyästhetischer Präsentation. Einerseits die Veränderung einfarbiger T-Shirts durch schweißtreibende sportive Betätigung, andererseits die Unterlegung des visuellen Prozesses durch die rhythmischen Laute des Trampolinspringens. „Konkret machen“ erhält damit einen Doppelsinn, der gerade jene finale und aktive Offenheit in den Begriff des Konkreten bringt, den dieser braucht, um nicht retrospektiv vor seiner eigenen Geschichte zu erstarren.
Georg Winter ist der Spiritus Rektor des Unternehmens. Er definiert seine Arbeit nicht im Sinne einer dogmatischen Orientierung an konkreter Kunst, sondern entwickelt seine Werke als intermediale Arbeiten im Be-reich der Schnittstelle von Bildhauerei und Medienkunst, wodurch sich eine neue formale wie auch inhaltliche Position von gesellschaftlicher Rele-vanz ergibt. Dementsprechend geht er nicht von einem klassischen, eher statischen Begriff von Plastik aus. Er entwickelt eine prozessual angelegte Kunstform, für welche die Verzahnung der Kategorien Produktion, Kommunikation, Interaktion und Rezeption maßstabsbildend ist. Kunst ist ihm Kritik am Bestehenden wie Vorschein eines möglichen Neuen; er ist im positiven Sinne konkret – kritisch, ästhetisch und utopisch.

Was bleibt festzuhalten? Die jungen Künstlerinnen und Künstler spüren den Verbindungen von Kunst und Leben nach. Konkrete Kunst heißt für sie nicht dogmatische Reduktion auf ein von selbsternannten Meistern ka-nonisiertes Muster, keine gehorsame Reproduktion scholastisch erstarrter Ästhetisierung; vielmehr eine konkrete Utopie, ein unablässiges Suchen, ins Gelingen verliebt, nicht dem eisernen Gehäuse einer Hochschulpädagogik mit der Pickelhaube verpflichtet.

In dieser heiteren Form eines Widerstandes gegen jedwede Vereinseitigung, ja Versteinerung konkreter Kunst etabliert die junge Szene Saar eine gewichtige Stimme gegen die tradierten Präsentationsformen konkreter Kunst an der Hochschule. Während bei den Vertretern letzterer eine Ablehnung gegen wissenschaftliches Denken vorherrschend ist, propagieren die Jungen einen frischen umstandslosen Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Alle beschäftigen sich mit elementaren erkenntnistheoretischen und ästhetischen Problemen der Kunst: Wie wird etwas von wem wahrgenommen? Wie gestalten sich Produktion und Rezeption? Worin manifestiert sich die Macht der Bilder? Was macht die Ordnung ästhetischer Phänomene aus?

Bei allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern steht Kommunikation, Wahr-nehmung und die Frage, wie verhalten sich Kontinuität und Wandel zuei-nander, im Mittelpunkt ihrer ästhetischen Reflexionen. Die einzelnen Werke erscheinen in ihrer Endkonsequenz durch und durch iterativ, suchend, - eine selbstbewusste Form einer ästhetischen Fortbewegung ohne die Attitüde demutsvoller Unterwerfung. Es gelingt den Autorinnen und Autoren  mit ihrer narrativen und assoziativen Kunst Fragen aufzuwerfen, ohne Antworten vorzugeben. Ihre Werke sind eben nicht irreduzible Gegenstände der vor ihnen sprachlosen Anschauung, nein,  sie sind vielmehr Anstöße für eine ebenso lebendige wie offene Wahrnehmungs- und Argumentationskultur; sie sind im besten Sinne des Wortes eine Anstiftung zum Weiterdenken und damit der Aufklärung verpflichtet.

Prof. Dr. Hartmut Wagner

Saarbrücken, im September 2011